Aufsatz von Günter Beltzig (Referent bei den Südtiroler Spieltagen 1992)
Was sind Spielplätze?
Spielplätze sind monokulturelle Funktionsräume, wo eine eng eingegrenzte Benutzergruppe, eine eng umfasste, vorbestimmte Tätigkeit auf einem eng umschlossenen, kleinen Raum tun soll, möglichst ohne Abnutzung und ohne Verschmutzung dieses Bereiches und ohne Belästigung des Umfeldes. Man kann Spielplätze auch als Ersatzräume ansehen, die Ersatz bieten sollen für Tätigkeiten, Erlebnisse, Erfahrungen und Verhaltensweisen, die in der normalen Umwelt nicht mehr möglich sind. Es können Bewegen, Toben, Klamauk oder Ruhen, Entspannen, Verkriechen sein. Es können Sozialkontakt, Kommunikation, Erfahren von Eigenverantwortung, Selbstbestimmung, Ertasten von persönlichen Grenzbereichen oder Hackordnungskämpfe sein. Es können sinnliche Erfahrungen wie Hören, Riechen, Fühlen, Fassen, Wärme, Kälte, Regen, Schnee, Sonne, Wasser, Sand sein. Es kann Erleben von Natur sein. Je nachdem, für welche nicht mehr vorhandene Möglichkeit dieser Spielplatz Ersatz bieten soll, müssen spezielle Eigenschaften durch Gestaltung und Anlage geschaffen werden.
Naturspielplatz
Was ist Natur? Wasser, Sand, Erde, Steine, Pflanzen, Blumen, Bäume, Tiere? Sind wir Menschen nicht auch ein Stück Natur? In unserem normalen Sprachgebrauch verstehen wir unter Natur das Gegenteil von Dingen, die der Mensch geschaffen hat, Natur als Gegenpol zu menschgebauter Umwelt. Was soll ein Naturspielplatz bieten? Naturbeobachtung? Naturpflege? Umgang mit Natur? Naturbenutzung? Oder nur Tätigkeiten in natürlichem Umfeld? Spielen in natürlichem Umfeld, Pflanzen, Bäume, Büsche, Wiesen auf oder an den Spielplätzen sollten normal, noch kein Zeichen für Naturspielplatz sein. Ein Naturspielplatz sollte schon mehr bieten, doch was? Spielen mit natürlicher Natur, oder Spielen mit natürlichen Mitteln, oder Spielen mit naturähnlicher Gestaltung?
Spielen mit natürlicher Natur
Das wäre Spielen am Meeresstrand, im Wald, am Bach, am Teich, Spielen in den Büschen, auf Bäumen, auf der Blumenwiese, am Sumpf, auf Felsen und Spielen mit Tieren. Das Spielen mit natürlicher Natur hat nur einen Nachteil, nämlich, dass Natur empfindlich ist. Wenn wir die natürliche Natur benutzen, zerstören wir sie. Die Natur braucht Zeit, sich von der Benutzung zu erholen, sich zu regenerieren. Wenn wir der Natur nicht Zeit lassen, sich zu regenerieren, wird sie absterben ohne Möglichkeit, sich wieder zu erholen. Ein Kind im Wald, ein Kind auf der Blumenwiese sind kein Problem, aber viele Kinder auf dem gleichen Baum, das überlebt er nicht. Viele Kinder täglich auf einer Wiese, Rennen, Ballspielen, Lagern, überlebt die Wiese nicht. Spielen mit natürlicher Natur ist nur möglich, wenn die Natur räumlich und mengenmäßig im Überfluss vorhanden ist oder aber, wenn die Benutzung der Natur strengen, zeitlichen Reglementierungen unterliegen würde.
Spielen mit natürlichen Mitteln
Holz, Hanfseile, Lehm, Ton, Findlinge, Kiesel, Sand, Wasser, Matsch, Hackschnitzel (Rinde) sind natürliche Mittel, mit denen gut gespielt werden kann. Aber wenn Holz gegen Witterungseinflüsse und Fäulnis geschützt werden muss, kann das natürliche Material Holz zu einem sehr synthetischen, hochgiftigem Material werden. Auch wenn Hanfseile länger halten sollen (durch Imprägnieren, Teeren, Einflechten von Stahlseilen), verlieren sie ihre Natürlichkeit. Sand, Matsch, Hackschnitzel und Wasser können sehr schnell durch Umweltbelastungen ihre guten Eigenschaften verlieren. Natürliche Mittel haben keine Eigenqualität sondern es kommt darauf an, für was, wie und womit man sie benutzt und ob sie bei dieser Benutzung ihre natürlichen Vorzüge behalten können. Es kann deshalb manchmal sinnvoller sein, für einen bestimmten Zweck ein künstliches Material zu bevorzugen, weil es länger hält, besser benutzbar, gesünder und umweltverträglicher ist, als es ein natürliches Material für diesen gleichen Zweck wäre.
Spielen mit naturähnlicher Gestaltung
Unsere Spielplätze als Restgrundstücke, als Reste und Überbleibsel von früherer Benutzung und Verplanung können keine natürliche Natur sein. Sie müssen wieder durch Planung und Gestaltung renaturalisiert werden. Es ist bekannt, dass ein Biotop nur funktioniert, wenn es groß genug ist, Zeit genug hat, um zu wachsen und die Nutzung so eingeschränkt ist, dass es nicht aus dem Gleichgewicht fällt. Ein Biotop, das funktionieren soll, kann als einzige Nutzungsform bestenfalls aus der Ferne beobachtet werden. Deshalb sind Biotope als Spielzonen für Kinder wenig geeignet. Aber auch andere Arten der Renaturalisierung zu naturähnlichen Vegetationsflächen können eine starke Benutzung nicht überleben. Für einen Naturspielplatz müssen wir deshalb benutzbare, naturähnliche Bereiche mit natürlichen, nicht benutzbaren Randbereichen zu einer funktionellen Einheit zusammenfassend gestalten. Kletterfelsen, Trockenflusskiesbett, Sandmulde, wuchernde Weidenbusch-Labyrinthe, Hügel, Tal, Miniaturlandschaften, Höhlen, Wasser, Matsch, Sitz- und Hüpfsteine, dies alles mit robusten, wuchernden Pflanzen umgeben, dazu noch ein paar wildflugbesamte Brennnessel-, Distel-, "Unkraut-Flächen und vielleicht sogar noch eine Hütte, eine Hängebrücke, ein Hangelseil oder eine versteckte Rutsche können ein naturähnlicher Spielplatz sein. Statt Klettergeräten Felsen, die Trittstufen bilden aber keine direkten Absturzhöhen von mehr als einem Meter haben, können naturähnliche Spielbereiche sein. Holzrampen und Plattformen um einen Baum gruppiert, ohne sein Wurzelwerk zu verletzen, erlauben naturähnliches Baumspielen, ohne den Baum zu töten. Eine Sandmulde, von Findlingen eingerahmt, kann eine naturähnliche Spielzone ohne Sandkastencharakter sein. Wasser, das aus einer Pumpe "erarbeitet" wird, zwischen Steinen und Rinnen in eine Sand- und Matschpfütze fließt, kann Erfahrungs- und Erlebnisspiel gestatten, ohne Spielmaschine zu sein. Naturähnliche Bereiche müssen nicht teurer als herkömmliche Standardspielplätze sein, doch sie erfordern bei der Planung mehr Phantasie und Einfühlungsvermögen in die jeweiligen Standortmöglichkeiten. Naturähnliche Spielbereiche können keine standardisierten Serienplätze sein sondern müssen individuell und sensibel geplant, erbaut und gepflegt werden. Wird dies erreicht, wird man sehen, dass die Benutzer auch sehr viel sensibler und liebevoller damit umgehen als mit einer phantasielos, herzlos aufgestellten Spielmaschine.
Günter Beltzig, April 1991